Publikation: privat
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(John Cage)
Betrachtung darf nicht Archivierung werden, soll nicht die Impulsivität und das Narrative des Künstlerischen verloren gehen. Was sich der Betrachtung als Schwierigkeit einer Zeit ergibt, hängt aber sehr stark von der FrageStellung an diese Zeit, von der Interpretation ihrer Erscheinungen ab. Betrachtung, die Rückschau im Sinne einer vollkommenen historischen Identifikation ist, gibt es aber nicht. Standpunkte werden sichtbar, die eine Frage der Stellung zum Gegenstand sind, zur Sache oder, um es mit Goethe zu sagen: “Was ihr den Geist der Zeiten heißt, das ist im Grund der Herren eigner Geist, in dem die Zeiten sich bespiegeln.”
Das, was sich hier wie der Beginn eines Pamphlets für postmodernes Denkens ausnimmt, ist aber als Fragestellung gedacht:
Unabhängig davon, ob man nun annimmt, dass die Postmoderne sich als Dekade, intellektuelle Strömung, globale Realität oder als das Ende jedweder Geschichte definiert; oder ob man annimmt, dass Postmodernität “die Welt als kontingent, als unbegründet, als vielgestaltig, unstabil, unbestimmt, als ein Nebeneinander getrennter Kulturen oder Interpretationen” begreift; oder ob man annimmt, dass das Medial-Universale die Realität oder Fiktionalität der Postmoderne widerspiegelt; oder ob man meint, dass die Postmoderne lediglich eine Gegenmoderne ist: Wie alles andere, wird auch Kunst erst in der Vermittlung real, d.h. bekommt ihr wirkliches Sein und Da-Sein. Oder, ausgedrückt mit den Worten Hans-Georg Gadamers: “Ein Sinnganzes […] ist nicht an sich, […] sondern es gewinnt (erst) in der Vermittlung sein eigentliches Sein.”
(Diese Einsicht und das mit dem Sachverhalt verbundene generelle Fragen ist als Interpretationstheorie natürlich schon wesentlich länger im Umlauf. Im Zusammenhang mit der “dialogischen Methode” und schon praktische Konsequenzen ziehend, stellt Sokrates in Platons Protagoras fest: “Denn ich will eigentlich nur den Satz prüfen, aber es ereignet sich dann wohl, dass dabei auch ich, der Fragende, und der Antwortende geprüft werden.” Die nötige Abgrenzung freilich, d.h. also: “Ausgeschieden wird alles, was nicht zur Sache gehört”, ist heute umstritten, doch bei jeder sachlichen Betrachtung, bei jeder vorurteilsfreien Wahrnehmung wenigstens der Absicht nach zu verfolgen. Allein das Wissen um diese Tatsache - der Autor kommt darauf noch zurück - vermeidet hier schon weitgehend das Ideologische, Fatalistische und Fundamentalistische.)
Doch gibt es im Gegensatz zu manchen anderen Bereichen, hier in der Kunst, ein inneres Fragestellen, ein Anliegen, das eben nicht der Allgemeinheit der Dinge eigen ist. Ob Kunst nun verneint, bejaht, sich gleichgültig oder avantgardistisch verhält: sie ist mit diesem Anliegen bestückt, unabhängig davon, ob es intuitiv oder willentlich impliziert ist (so es denn wirklich Kunst ist, bzw. sich diese nicht historizistisch verhält, d.h. also neben die eine, aktuell-wirkende und historisch-gewachsene Realität noch die scheinbar wiedererwachte Geschichte setzt). Dieses Anliegen ist allerdings immer - bewusst oder unbewusst - ein moralisches oder unmoralisches, ein ethisches oder unethisches, ein soziales oder unsoziales, ein objektives oder ein phantastisches, futuristisches oder visionäres, ein vernünftiges oder unvernünftiges, ein identitätsstiftendes oder identitätsloses, ein wahrhaftiges oder unwahres… All diesen Begriffen, all diesen Anliegen aber ist das schwer Abgrenzbare fast ebenso immanent, wie die Möglichkeit zum Ideologischen.
Nichtsdestotrotz oder gerade deshalb kommt man um das Stellungnehmen hier nicht herum (und zwar im konkreten, praktischen Sinne, auch wenn der postmoderne Diskurs gerade um diese Begriffe bzw. Realitäten und Realitätsmöglichkeiten oft einen weiten Bogen macht). Gerade die Kunst bzw. künstlerisches Wirken impliziert die genannte Begrifflichkeit, also dieses schlechthin am wenigsten zu Definierende (zwar tanzen auch die Künstler um das goldene Kalb der rein ästhetizistisch-interpretierten Postmoderne herum, doch mit jedem Wort, mit jeder Aktion, mit jedem Werk legen sie etwas Sein dar, widersprechen somit dem Schein; dies auch, wenn ihr Werk selber Schein ist). Die universelle Ästhetisierung hingegen, die im Grunde alles gleichwertig macht, macht auch jedes Ding in diesem Sinne zur universellen und universell übertragbaren Ware, einschließlich ihres historischen Kontextes. Die Frage also, was Hitler von Beethoven unterscheidet, ist nicht nur eine relative und insofern auch relativ interpretierbare, sie ist auch nicht nur Totschlag-Rhetorik; sie ist eine konkrete Frage, eine des moralisch-ethischen Standpunkts.
Anders gefragt: wenn man die obige Behauptung, dass im Grunde genommen alles Interpretation ist, als wahr annimmt, dann muss man folgerichtig fragen, ob nicht eben genau diese Behauptung gleichfalls dem Interpretationszwang unterliegt und insofern auch relativ ist. Das was folgt, ist dann so unbegründet, dass es zwar für die Kunst und auch für die Wissenschaft schon wieder interessant ist, aber deshalb noch nichts mit der gelebten Realität gemein hat, in die sich auch Kunst einmischt, bzw. zu der sie sich verhält.
Schamlos könnte man sich die Hände reiben, bzw. sie als Intellektueller in den Schoß legen, wenn man dem folgenden, diesbezüglich-resignierenden Schluss des durch die “künstlichen Schöpfungen” beunruhigten Peter Sloterdijk zustimmen würde, der meint, es “können im Kern der weitergedachten Moderne nur noch Unternehmer, Erfinder und Künstler, nicht aber mehr Denker im Sinne der philosophischen Tradition auftauchen; das Denken selbst als Entsprechung zum Sein ist offenkundig dabei, eine marginale Funktion zu werden; die Hirten des Seins rücken an den Rand, ja das Sein selbst, als Reich der gewesenen Freiheit, nimmt sich nun aus wie eine schmale Provinz”.
Nicht nur, dass es hier konsequenterweise die Lehrstühle für Geisteswissenschaften schleunigst aufzulösen gelte, einschließlich dem des Prof. Peter Sloterdijk, nein, allen Ernstes meint Sloterdijk, dass Denken “eine marginale Funktion” ist, der es anscheinend unter anderem im Künstlerischen nicht bedarf; und Unternehmer, Erfinder und Künstler (man beachte die Reihenfolge) in den Sloterdijkschen Topf des postmodern-frustrierten Seins zu werfen, kommt einer totalen Nivellierung jedweder produktiver Gegensätze gleich.
Pluralistische Vielheit wird hier mit Beliebigkeit gleichgesetzt. Zwar, so Sloterdijk weiter, “gibt es keinen Grund, nicht zu glauben, dass das Beste soeben entsteht”, aber “wer auf Sein baut, erlebt Verschleiß”. Nun, so möchte man denen antworten, die solches missbilligen, vielleicht ist es gerade dieser Verschleiß, der das Sein wahrnehmbar macht und der es auch gleichzeitig am liebsten vergessen machen möchte. Vielleicht ist es auch eine Herausforderung für das “Bewusstsein eines Geistes, der […] am noch Unbekannten arbeitet und im Wirklichen das sucht, was seinen vorausgegangenen Erkenntnissen widerspricht”.
Da soll schon mit einem anderen postmodernen Philosophen, nämlich Wolfgang Welsch geantwortet werden, der in diesen Zusammenhängen wenigstens noch die Frage stellt: “Wie kann eine Vernunft, die nicht mehr […] Ursprungsvernunft ist […], wie kann eine solche Vernunft, gleichwohl genügend Eigenheit und Selbständigkeit besitzen, um von Rationalität unverwechselbar unterschieden zu sein und in deren Sphäre kritisch intervenieren zu können?” “Nicht die Vernunft, (als das) Vermögen mit der Pluralität rationaler Formen richtig und förderlich umzugehen, sondern die Rationalität ist plural geworden.”
Man mag also die Pluralität auch der Seinsformen schätzen oder nicht, begreifen und demnach auf Wesentliches hin kritisch abklopfen wollen oder nicht, intervenieren wollen oder nicht: Fakt ist, dass Pluralität zu konstatieren ist. Und zwar nicht nur in noch nie dagewesener Form, sondern vor allem ist im Informationszeitalter (das manchen Denker nicht nur er sondern verschreckt) “Auswahl die Kunst der Stunde”. Und das heißt auch, dass nicht nur in dem Moment, wo wir meinen etwas verstanden zu haben, bei gesundem Menschenverstand der Selbstzweifel einsetzen muss; sondern er muss auch einsetzen, wenn man meint, es gäbe nichts mehr zu verstehen, bzw. - da eben alles Interpretation ist - wenn die Annahme besteht, dass alles in sich selbst relativ und daher zueinander sowieso fragwürdig ist.
“Die Gangart der Dinge”, so Wolfgang Rihm 1995, “entscheidet, ob es sich um Moderne oder beispielsweise um eine Alt-Moderne handelt”, d.h.: wie die Dinge wirken, in welchem Kontext sie wirken, ist also nicht nur eine Frage der inneren Substanz, sondern auch eine Frage ihrer Erscheinung und ihres Wirkens. Dass die Frage des inneren Werts überhaupt hier diskutiert werden muss, ist schlimm. Die Postmoderne birgt zwar mehr als andere gesellschaftliche Strukturen die Chance zur Toleranz in sich, aber die Chance bleibt nur eine, wenn sie auch Hoffnung zulässt und Toleranz nicht Beliebigkeit im moralisch luftleeren Raum ist. “Denn was wir wünschen können, muss doch im Bereich unsrer Kräfte liegen.”
Die Postmoderne bietet, da sie angeblich alles involviert, scheinbar wenig Angriffsfläche. Aber nicht nur, daß dies auch andere kulturelle Systeme, Stile und Identitäten schon von sich behaupteten und jede diesbezügliche Kritik empört von sich wiesen, nein, die eigentliche, die lebendige Frage ist: wie wird hier was und mit welcher Gewichtung, mit welchem Ernst von wem eingeschlossen. Der langen Vorrede kurzer Sinn bezüglich “Nono in der Postmoderne !?” ist: Wenn es manchmal schon schwierig ist, Nono in der Begrifflichkeit der Moderne unterzubringen, so ist es noch viel schwieriger ihn der Postmoderne zuzuordnen.
(Nachdrücklich sei auf die Unterscheidung zwischen Gesellschaftsordnungen, politischen Systemen sowie kulturellen Systemen, Stilen und Identitäten hingewiesen. Denn nichts anderes als ein kulturelles System etc. ist die Postmoderne, auch wenn es hier natürlich sehr vielfältige Überschneidungen innerhalb und zwischen den einzelnen Gesellschaftsordnungen und politischen Systemen gibt. Dieser Hinweis ist in sofern wichtig, als es gelegentlich den Anschein hat, dass der ästhetische “Wandel” des späten Nono gleichgesetzt wird mit einem möglichen oder tatsächlichen politischen Wandel. Dass es diesbetreffend auch bei Nono diverse Überschneidungen gab, soll in keiner Weise bestritten werden; aber zu beachten ist auch, dass der Komponist z.B. bis zu seinem Tode Mitglied der kommunistischen Partei war.)
Um sich aber nicht auf die Sicherheit eines nur scheinbar definierten terminologischen Standards einzulassen, dienten die einleitenden Worte der Begriffsfindung bzw. der Abgrenzung und aktuellen Sichtung der Begriffe. Unter der Fragestellung, was diese Begrifflichkeit bezogen auf Nono wert ist, hier einige Ansätze, die gleichwohl nicht den mindesten Anspruch auf Vollständigkeit haben können.
Grundsätzlich muss natürlich auch hier klar sein, dass Kategorisierungen jeder Art von der Substanz künstlerischen Schaffens oft mehr abziehen, als sie der Sache hinzusetzen können; und klar muss auch sein, dass nur bedingt Gültiges aus der Substanz des Begriffs “Postmoderne” zu ziehen ist, da die Definition und Abgrenzung noch nicht aus dem Blickwinkel historischer Distanz geschehen kann.
Doch verallgemeinernde Begriffe machen sehr wohl auch Sinn und zwar, wenn sie lebendig sind bzw. lebendig gehalten werden, dem kritischen Diskurs unterliegen und keine Dogmen oder ideologische Sätze darstellen. Zwar ist helle Aufregung angesichts der noch laufenden Begriffsfindung nun wirklich nicht angebracht, doch Interventionismus sollte in dieser Angelegenheit doch ein wenig alltäglicher werden. Fraglich ist also z.B. die folgende, vermutlich ironisch gemeinte, nichtsdestotrotz möglicherweise auch leicht resignative Haltung Jürg Stenzls, welcher meint, dass gerade “hier […] in Deutschland […], wo man nur mit Habermas in der Tasche rumläuft […] und man unter Postmoderne ja bloß eine Gegenmoderne, eine kulturindustriell angepasste Befreiung von und Überwindung der fundamentalistischen Moderne versteht”, die Paradigmatisierung Nonos im Sinne der “musikalischen Postmoderne[…], nur unfruchtbare Polemiken entfachen” würde.
Doch ist dies natürlich keine Lösung und vor allem nicht für eine jüngere Generation, die sich ja möglicherweise fragt “wie Luigi Nonos Ansätze in die Zukunft fortgeschrieben werden können” (eine Frage, die übrigens auch Stenzl an anderer Stelle stellt). Eine weitere Fragestellung, die sich in diesem Zusammenhang ergibt, ist die: wie sich Nono heute überhaupt noch sehen lässt, d.h. ob sich bestimmte Ansatzpunkte überhaupt ohne Epigonentum weiterverfolgen lassen.
Nono, der ein exzellentes Beispiel eines engagierten Künstlers darstellt, hat - bewusst oder unbewusst - aus seinen Irrungen und innerlichen Wirrungen keinen Hehl gemacht. Dies rührt sicherlich auch daher, dass er sich permanent gegen die Sicherheiten, die Anbiederungen seiner Umwelt verwahrte, sich aber dennoch einließ auf eine Sache: mit Weisheit und Blindheit, mit Wut und mit Liebe, mit tiefster persönlicher Wärme und grausamster menschlicher Kälte. Eckhard Rödger, der die immer unter großen Schwierigkeiten nur durchzusetzenden Aufführungen Luigi Nonos im Osten Deutschlands produzierte und technisch realisierte und der in den 80er Jahren z.B. auch den Prometeo in Sizilien realisierte, sagte diesbezüglich in einem Gespräch mit dem Autor: “Es war bei Nono so, als säße man auf einem Vulkan, der jeden Moment ausbrechen konnte. Sei es nun in Form von wärmster Zuneigung oder als tiefste Missbilligung. Wobei man sagen muss, dass letzteres nie lange anhielt: bei der nächsten Gelegenheit war alles wieder vergessen.” Unsicherheit - zugegebene Unsicherheit, muss man genauer sagen - ist jedenfalls ein markantes Merkmal des Spätwerks, und davon sprechen nicht nur seine ständig im Fluss des “work in progress” befindlichen Werke, sondern auch seine manchmal fast fragmentarischen Äußerungen, sein Auftreten, seine Haltung.
Man kann dieses deuten als den Habitus des Enttäuschten, als die Erkenntnis des Geläuterten, als Erweiterung und Umwandlung von Aspekten geistiger und kompositorisch-technischer Natur im postmodernen Sinne oder im Sinne einer erweiterten Moderne; sicher ist, dass sich Nono buchstäblich bis zum letzten Atemzug wachen Blicks in den Strudel der gesellschaftlichen und moralischen Betrachtung und des Stellungnehmens einließ, auch wenn er in den 80er Jahren zunehmend selber in diesen Sog geriet - mit der Ausnahme, dass er nun nicht mehr als Beteiligter, sondern als zu Betrachtender angesehen wurde. Weiter als manch einer seiner Generation war er in jedem Fall, denn da er schon früh gelernt hatte, sich mit dem Fluß der Geschichte zu befassen - den mancher Künstler natürlicherweise gern nach seinen eigenen Intentionen gelenkt wissen möchte -, stellte er sich diesem auch nicht in den Weg.
Andere Zeiten haben auch andere Konsequenzen, ohne dass dies dem Idealismus abträglich sein muss, und die Anerkennung der Gegensätze muss nicht zwangsläufig auf ihre Versöhnung in lieblicher Harmonie hinauslaufen - kaum einer legte dies klarer dar als Nono. Stilisierung war hier aber in allen Fällen zwangsläufig zu erwarten. Mancher Vertreter aus Nonos Generation, der sich selbst nicht objektiv mit den neuen Zeiten befassen will, möchte natürlich den großen Erneuerer nicht gern in der Postmoderne angesiedelt sehen, bzw. da die Postmoderne eben nicht mehr wegzuargumentieren ist, wird sie eben als “radikalisierte Moderne” interpretiert.
(Es ist an dieser Stelle deutlich zu unterscheiden zwischen “individueller oder ganzheitlicher Kritik an der Gesellschaft” und zwischen dem Standpunkt zum Begriff, bzw. zu der Analyse des Begriffs “Postmoderne”. Ersteres soll nicht nur mehrfach unterstrichen sein, sondern es kann gar nicht nachdrücklich genug Kritik und Vision eingefordert werden, ob sich nun solches als Forderung nach gesellschaftlicher Veränderung, Vision neuer Gesellschaftsformen oder als rein kritische Zustandsbeschreibung manifestiert.
Unterstrichen werden muss aber auch der zweite Punkt. Denn einen Zustand, eine Sache, eine Gesellschaftsform, eine kulturelle Epoche oder ein bestimmter kultureller Abschnitt lässt sich nur bestreiten oder verändern, wenn man ihn objektiv-kritisch analysiert, sich also im Sinne einer Interpretation beteiligt, die zuerst einmal den Sachverhalt wie er ist, bzw. wie er sein könnte, anerkennt und sich nicht einen Zustand nur herbeiwünscht. Letzteres, für die Kunst durchaus legitime Vorgehen, ist nämlich erst in Folge der Interpretation möglich. Das “Bilde Künstler, rede nicht” Goethes macht zwar auch den Autor frieren, doch leuchtet es ein, wenn man als Beteiligter meint, man stünde als Prophet vor großen Menschenmengen, unterhält sich aber in Wirklichkeit mit den Sandkörnern in der Wüste und dies noch nicht einmal als “einsamer Rufer”.)
Nono stand nie außerhalb der Gesellschaft, er stand immer kritisch an deren Rand.
Postmoderne Ansätze und Tendenzen lassen sich sehr wohl feststellen, wer dies nicht sieht, ist blind oder will das kulturelle Umfeld nicht sehen und sich somit auch nicht objektiv mit ihm auseinandersetzen. Man kann also in solch einem Fall nur raten - Brecht abgewandelt: die Komponisten mögen sich doch eine andere Gesellschaft wählen. Nonos Postmodernismus ist allerdings einer, bei dem zu fragen ist, ob es sich hierbei nicht um einen mit Visionen und “Realien” genährten Humanismus handelt, der mit den neuen Erkenntnissen verbunden wurde. Ebenfalls unsinnig wäre es, in der Gesamtheit - und diese gilt es nicht aus dem Blick zu verlieren - Nono als personifiziertes Fragezeichen im postmodernen Sinn zu betrachten und hier ausschließlich sein Spätwerk heranzuziehen bzw. im umgekehrten Fall, den pensionierten Kommunisten festzustellen, der sich persönlich noch ein paar, nicht ganz ernst zu nehmende Experimente leistet.
Eine Künstlerpersönlichkeit, zumal noch eine wie Nono, ist ein Komplex, dem nicht mit einer einzigen Kategorie beizukommen ist - und das macht ihn ja auch groß, und sicher sind sein Werk und sein Naturell gerade deshalb so interessant. Eine Schublade gibt es hier nicht, die die Person bestimmenden und unvollständiggenannten und bekannten Aspekte sind wohl eher als ein Konglomerat zu bezeichnen.
Sehr fraglich ist, ob Nono mit Klaus Hubers nachrufender Vereinnahmung “… Die umgepflügte Zeit …” so einverstanden gewesen wäre, die sich eher wie eine Positionierung in eigener Sache und Abgrenzung gegen Wolfgang Welschs “Postmoderne” sowie gegen die oben zitierte Stellung des verdienstvollsten Nono-Forschers, Jürg Stenzl, liest. (Hinzugefügt sei, dass Welschs Entwürfe zur postmodernen Musik manchen Problempunkt haben und insgesamt sehr kritisch zu sehen sind. Die Grundzüge seiner Ästhetik aber sind in ihrer Gesamtheit - es gibt schließlich noch mehr Publikationen Wolfgang Welschs, als die von Huber zitierte - durchaus nachdenkenswert, obwohl sie ebenso in ihrer ästhetizistischen Tendenz kritisch hinterfragt werden sollten, was ja am Beginn dieses Kapitels geschah, wenn auch dort nicht direkt bezogen auf diesen Autor.)
Wenn Huber vorgibt, fruchtbare Methoden des generativen Fortschreitens in der Kunst zu kennen, dann mag man ihm als Komponisten das ja abnehmen oder nicht. Überträgt er diese Progressions/Regressions-Methodik jedoch - Dorothee Sölle mit den Worten zitierend “Die Frage ist nur, welchen Wert wir der Regression beimessen und wie wir sie beurteilen. […] Man kann aber die Beobachtung machen, daß kreative Leistungen aus tiefen Regressionen kommen” - auf den späten Nono, dann wird Kulturpessimismus rhetorisch umgedeutet zu (sicherlich avantgardistisch gemeintem) Optimismus.
Hubers Hauptanliegen, “Nono gegen die Usurpation seines Spätschaffens als Paradigma des postmodernen Musik- und Kunstdenkens zu verteidigen” geht insofern völlig ins Leere, als der ansonsten unübertroffen lebendige Komponist Huber eine Analyse der Postmoderne liefert, die mit einer objektiven Interpretation im obigen Sinne nichts zu tun hat. Spricht man der Postmoderne die Tiefe der kritisch-individuellen Inhaltlichkeit sowie die Pluralität der Bedeutungen und Inhalte ab, sieht also nur noch Oberflächen ohne eigentliches Relief, so kommt man natürlich zu Schlüssen, wie sie Huber hinsichtlich Nono zieht.
Gewiss: Dummheit war schon immer zuviel in der Welt, doch wäre es nicht angebrachter, diese von einem zeitrelevanten Standpunkt aus zu kritisieren und nicht vorschnell zu resümieren, “Das alles hat nichts mit Gigi Nono zu schaffen”, obwohl man eigentlich trotzig-infantil fragt: Kann denn dies alles etwas mit meinem Gigi zu tun haben? Und dann, um mögliche Widersprüche in den Thesen auszuräumen, zu behaupten, “es könnte doch sein, dass der manchmal stürmische Wind der Zustimmung, ihn aber möglicherweise dann und wann […] auch zu irritieren imstande war”, ist unsachlich und ignorant; denn nichts ist für einen Künstler (auch für Huber) schlimmer, als wenn er mit seiner Meinung belächelt oder nicht ernst genommen wird.
Das “Zusammenbiegen der Gegenpole”, aus denen der lebendige Sinn Funken zu schlagen vermag, im Sinne eines Entstehens “induktiver Ströme” (Warum hier eigentlich die Verwendung eines physikalischen Begriffs?), ist in Nonos Spätwerk jedenfalls selten festzustellen. Nono geht es weniger um das Interpretieren der Gegensätze oder gar um eine Gegenüberstellung in der Art des Kontrastprinzips, denn um das Beschreiben ihres Da-Seins.
Es ist, und dies ist wirklich sehr bemerkenswert an Nono, der Wille zur positiven Sichtung, der Wille zur Wahrhaftigkeit, zur Einsicht einer Möglichkeit von Wahrheit. Und dieses klingt dann manchmal sehr unangenehm, manchmal fragmentarisiert, manchmal kaum hörbar und manchmal unüberhörbar, manchmal sphärisch, manchmal dunkel und karg, manchmal licht und hell… Aber niemals gleich gemacht, glatt gebügelt für die Sache. (Und dies auch oft - hört man genau hin, betrachtet man genau - schon in den Werken, die eindeutig noch einer Sache unterstehen, den Werken also der 50er, 60er und 70er Jahre.
Denn auch diese Werke sind ideell, aber nicht nur idealistisch, sind kritisch gegenüber dem Ideal, aber gleichzeitig darauf beharrend.) Nun relativiert sich das Ideal zwar später - zumindest das politische -, das heißt aber nicht, dass Nono keine Einstellung mehr gehabt hätte. Es ist die Einstellung desjenigen, der umschließen will ohne einzuhüllen, desjenigen, der suchen will mit unbedingter Interessiertheit an seiner Umwelt. Es ist die Einstellung nicht der geläuterten Gelassenheit, sondern eine Einstellung, die der gelebten Läuterung bedarf, ja, zu der man ohne Läuterung nicht kommt. “Denn der Irrtum ist es”, so Nono 1983, “der die Regeln zerbricht”.
Unbestritten sei, dass eine derartige Positionierung, ein derartiges “freiwillig in der Luft hängen” aber nicht im luftleeren Raum sein, auch sehr schnell umschlagen kann in Mystizismus, Depression etc.. Und auf manchem der Nonoschen Spätwerke liegt ein solcher Schleier, allerdings ohne dass es je in diese Bereiche umkippen würde - dies sollte auch gesehen werden. Das Bild des Wanderers (Caminantes), nicht nur für Nono, sondern für viele andere Geistesgrößen ein passendes Bild für das unstete Suchen in der Welt, wird von Friedrich Nietzsche in “Menschliches, Allzumenschliches” so zündend beschrieben, dass man im Zusammenhang mit Nono fast geneigt ist, die Sache ohne Einschränkung zu übertragen.
“Wer nur einigermaßen zur Freiheit der Vernunft gekommen ist, kann sich auf Erden nicht anders fühlen denn als Wanderer, - wenn auch nicht als Reisender nach einem letzten Ziele: denn dieses gibt es nicht. Wohl aber will er zusehen und die Augen dafür offen haben, was in der Welt eigentlich alles vorgeht; deshalb darf er sein Herz nicht allzu fest an das einzelne anhängen; es muss in ihm selbst etwas Wanderndes sein, das seine Freude an dem Wechsel und der Vergänglichkeit habe.”
Nonos Denken, gerade in den späten Werken, rüttelt nicht wenig am Bild des Künstlers. Die Erwartung, Nono wäre noch ein Kind von Multimedia und Cyberspace geworden, braucht natürlich nicht diskutiert zu werden. Sein unbedingtes Festhalten an zeitgemäßen Mitteln aber, in seiner ganz eigenen, bewusstseinsstiftenden Weise, muss doch Anlass zum Nachdenken und Überdenken sein. Natürlich ist die Musik der letzten Jahre auch Musica reservata, und man konnte vom späten Nono nicht mehr erwarten, dass er in tiefsten Krisen, kurz vor dem Verstummen noch frische Rezepte für die eilige Jugend hatte.
Dennoch, sein offen sein für Vieles, sein Einschließen ohne vereinnahmen zu wollen, seine bewundernswert menschliches sicher ist nur die Unsicherheit - das aber eben nicht als Relativitäts- oder Toleranzdogmatismus zu Tage tritt, sich nicht in entlegenste Positionen und Frustrationen flüchtet - sollte nicht nur Bewunderung hervorrufen; es muss, gerade heute, wo ideologische Positionslosigkeit und gesellschaftspolitische hohle Verallgemeinerung gern zum erstrebenswerten Idealzustand (v)erklärt wird, auch nachdenkenswertes Vorbild sein.
An anderer Stelle wurde schon darauf verwiesen: Auf Grund mangelnden historischen Abstands, aktueller persönlicher Befindlichkeiten und einer alles andere als diesbezüglich reichhaltigen Materiallage ist es leider nicht möglich, die Person und Persönlichkeit auch von anderen Seiten zu beleuchten. Ganz bestimmt hängt das Schwanken zwischen reiner Werkbetrachtung und schüchterner Kritik auch mit Respekt und Übervorsichtigkeit zusammen.
Ohne dass dem biographischen Exhibitionismus das Wort geredet werden sollte: Irgendwann wird der Punkt der reinen Werkbetrachtung überschritten sein, und der Künstler muss sich dann mit der Latte messen lassen, die er selbst an andere angelegt hat. Es wäre eine allzu romantische Weltsicht, auf der man beharren würde, wenn man sagt, dass Kunst und Lebenswirklichkeit zu trennen sind, zumal Nonos Lebenswirklichkeit fast ausschließlich durch die Kunst definiert war und sich hier auch das “Privateste” äußert.
Nono bezog zuletzt nahezu alles in sein Betrachten ein, einen anderen Weg sah er nicht. Warum soll also der wissenschaftliche Betrachter nicht wenigstens - alles kann er ja nicht einbeziehen - ein bisschen mehr berücksichtigen als nur das reine Werk und Nonos diesbezügliche Äußerungen. Denn abstrakt und/oder epigonal ist Wissenschaft dann, wenn sie bewusst ausklammert, oder sich - wie Stefan Fricke nicht ganz zu Unrecht in seiner Rezension der Nono-Monographie von Jürg Stenzl bemängelt - an unreflektierten Klischees wie “war ein liebender Vater” oder “pflegte zu nehmen, was sich ihm zuneigte, und er eroberte, was ihn erregte” festhält.
Damit Wissenschaft lebendig wird, müssen auch andere Aspekte berücksichtigt werden. Denn es ist - ohne dass man ein ausgesprochener Nono-Kenner sein muss - bekannt, dass die Person Nono auch Wesens- und Charakterzüge aufwies, die sicherlich eine tiefere Deutung erfahren sollten. Dass sich der Komponist 1980 nach Angabe von Walter Levin in einem “grauenhaften Zustand” befand, lässt auch andere Interpretationen als die der allgemeinen und nicht näher zu durchleuchtenden crisis zu. Bevor die Gefahr von Mythenbildung gegeben ist - die Materiallage verbessert sich ja nicht unbedingt mit den Jahren, sollten lieber jetzt mit Seriosität und Würde auch andere Seiten der Person Nono dargelegt werden.
Bei aller Strategie der Interpretation, bei aller Wissenschaftlichkeit, bei allem Kalkül, das kritischen Diskursen im Sinne dieser Arbeit widersprechen mag: nicht nur die Beschäftigung mit Musik im allgemeinen, sondern besonders die Beschäftigung mit ihren hervorragendsten Vertretern bleibt, ja muss in jedem Fall zuerst eine Herzensangelegenheit sein. Denn, so der Komponist:
“Je mehr man hier ist [zeigt sich aufs Herz],
umso mehr ist man so [gestisch die Verbundenheit und
Offenheit zur Welt andeutend].”
(Thomas Christoph Heyde, 1998/99)
Der Text ist Teil der Arbeit “`No hay caminos, hay que caminar … Andrej Tarkowskij´ - analytische Betrachtungen zu Luigi Nonos letztem Orchesterwerk”. Veröffentlicht ist hier nur das letzte Kapitel.
Download [7xA4, 52kb, pdf]
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von 2differential am 09.01.2022 um 16:29 Uhr